Sonntag, 16. Juni 2013

Martin Gehlen verbreitet im Tagesspiegel Unwahrheiten

In der Online-Ausgabe des Tagesspiegels vom 16.6.2013 schreibt Gehlen nach der Wahl Rowhanis zum iranischen Präsidenten unter der Überschrift: "Ruhani plant Politik der Aussöhnung und des Friedens" u. a.:
Nachfolger Mohammed Khatami ließ ihn im Amt, ernannte ihn 2003 darüber hinaus zum Chefunterhändler der Islamischen Republik mit der internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEO), nachdem iranische Exilkreise im Jahr zuvor das geheime Atomprogramm Teheran an die Weltöffentlichkeit gebracht hatten. Unter Ruhanis Regie erklärte sich Iran damals bereits, mit der IAEO zu kooperieren und die Urananreicherung zu stoppen.
Diese Passage enthält mehrere Unwahrheiten, um es höflich zu formulieren.
  1. Das Atomprogramm des Iran begann am 5.3.1957 unter der Atoms for Peace-Initiative Eisenhowers. Das Kalkül war m. E., dem Iran den erhöhten Export von Öl schmackhaft zu machen, indem eine Lösung für seine Energieversorgungsprobleme und den Ausbau der heimischen Industrie angeboten wurde. 1967 wurde zusammen mit den USA das Tehran Nuclear Research Center geschaffen, ein Jahr später trat der Iran dem Atomwaffensperrvertrag bei. Weitere Schritte und Angaben über die Partner des iranischen Atomprogramms finden sich hier in Form von Zeitungsausschnitten: Blasts from the Past: Western Support for Iran's Nuclear program. Das Programm ist also seit 45 Jahren bekannt. (Siehe ausführlich auch hier: Klick!)

  2. Gehlen spielt auf das unterstellte Atomwaffenprogramm des Iran an, bezeichnet aber das gesamte Nuklearprogramm als geheim. Entweder er hat schlampig formuliert, schlampig recherchiert oder wissentlich die Unwahrheit geschrieben. Und selbst die Unterstellungen, die gegenüber dem Iran ständig erhoben werden, sind zweifelhafter Natur.

    Am 14.8.2002 wurde eine Pressekonferenz abgehalten, die kaum auf dem Radar der westlichen Medien auftauchte, später aber zur ernsten Konfronation zwischen Iran und "Lobby" führen sollte und noch heute das Potential hat, einen Dritten Weltkrieg auszulösen.

    Hauptdarsteller der Pressekonferenz waren Vertreter der Organisation "National Council for Resistance in Iran" (NCRI). Diese Gruppe ist der politische Flügel der Mujahideen-e Khalq, der MEK, die damals noch auf der Liste der "Foreign Terror Organizations" des US-Außenministeriums stand. Die Einreise der Vertreter mußte also gegen geltendes US-Gesetz erlaubt worden sein. (Vgl. Scott Ritter: "Target Iran. The Truth About the White House's Plans for Regime Change", pp. xv ff.)

    Auf dieser Pressekonferenz in der Lobby des Willard Hotels wurde die Existenz eines geheimen Atomwaffenprogramms im Iran unterstellt. Die Basis bildeten sogenannte Geheimdienstinformationen, die von Tel Aviv über das "Committee for a Democratic Iran" (u. a. Michael Ledeen (Ex-American Enterprise Institute), James Woolsey (Ex-Chef der CIA), Morris Amitay (Ex-Chef des American Israel Public Affairs Committee) und Rob Sobhani (ein Freund des Schah-Sohns)) an das NCRI weitergegeben worden waren. (Ebd., p. xxv.)

    Dieselben Information waren schon am 8.2.2002 ans Weiße Haus gegeben worden, wurden aber von CIA-Chef Tenet als wenig glaubhaft zurückgewiesen.

    Für den 20.8.2002 war ein Treffen von russischen und iranischen Regierungsvertretern geplant, auf dem die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit besprochen und der bereits im Juli desselben Jahres unterzeichnete Vertrag über den Bau von fünf weiteren Kernkraftwerken ausgeweitet werden sollte. Also war Eile angesagt.

    Nachdem die israelische Regierung in Washington abgeblitzt war, wurde ein anderer Akteur angesprochen, der die "Informationen" an die Öffentlichkeit geben sollte: Schah-Sohn Reza Pahlavi. Der lehnte dankend ab, obwohl er häufiger Gast des Likud-Blocks in Tel Aviv war. Vielleicht war er um den letzten Rest seines Rufs besorgt. So erklärt sich die Instrumentalisierung der MEK für israelische Zwecke.

  3. Die Einstellung der Konversions- und Anreicherungsarbeiten sowie die im Artikel fehlende Übernahme des Additional Protocols durch das Verhandlungsteam um den zum Reformer erklärten Rowhani geschah ausdrücklich zeitweilig und im Ergebnis des Paris Agreements. Der Westen versprach dem Iran technische Hilfe für die Entwicklung seines Atomprogramms sowie die Lieferung des für den Betrieb des Teheraner Forschungsreaktors nötigen Brennstoffs. Beides wurde nicht eingehalten, so daß der Iran die Ratifizierung des AP stoppte und seine Aktivitäten wiederaufnahm. Rowhani hat seine Erfahrungen mit der Ehrlichkeit des Westens in Verhandlungen und der Verläßlichkeit im Einhalten von Versprechen gemacht.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Gehlen nicht um diese Vorgänge weiß. M. E. lügt er bewußt. Wäre es nicht so, verdiente er die Berufsbezeichnung "Journalist" nicht. So stellt er sich in den Dienst fremder Interessen, denn Deutschlands Ziel kann nicht sein, auf die Zusammenarbeit mit dem Iran zu verzichten. Dort gibt es genügend Investitionsbedarf, der hierzulande zu mehr Arbeitsplätzen führen könnte.